„Die eigene Fluchterfahrungen sind hilfreich in der Migrationssozialarbeit“
Vage empfand er sein künftiges Schicksal erstmals vor 22 Jahren. In seiner Heimat, einem Dorf im kurdischen Teil Syriens, ganz in der Nähe der türkischen Grenze gelegen, begann eine zunächst schleichende Islamisierung. Als 2010 der Krieg begann, war es für die kurdische Minderheit dort oft schwer, sich zu orientieren und vor Ort erfolgreich Verbündete zu suchen. Als jedoch ISIS-Mitglieder in seinem Nachbardorf mehrere Menschen töteten, schickte er seine Frau und die Kinder eiligst zu Verwandten in sicherere Gebiete.
Er selbst blieb zunächst, denn er übte damals bereits seit vier Jahren den verantwortungsvollen Beruf eines Schulleiters aus. Die in der Region damals übliche Vorgabe seiner Eltern, Elektrotechnik zu studieren, hatte er zwar brav absolviert, war dann jedoch schnell davon angetan, Lehrer zu werden. Neben seinem regulären, nicht gerade üppigen Gehalt konnte er die dreimonatigen Sommermonate dazu nutzen, mit einer landwirtschaftlichen Tätigkeit seine Familie sicher zu ernähren.
Der Krieg hatte diese im Grunde sichere Perspektive aber nun schnell ad absurdum geführt.
Konstantin kannte Deutschland, denn er hatte einst Verwandte dort besucht. Das Ziel seiner Flucht war damit klar. Der Weg nach dort führte ihn über die Türkei, Griechenland, Bulgarien und Italien. „Es war anstrengend damals, zumal ich nicht ohne meine Familie aus der Heimat fliehen wollte – ich konnte es einfach nicht“, blickt er heute zurück.
Ausgangspunkt Gemeinschaftsunterkunft
Anfangs war er in der Gemeinschaftsunterkunft am Potsdamer Magnus-Zeller-Platz untergebracht, wo er sich gleich aktiv einbringen wollte. „Passivität“, das wusste er, „hätte mich nicht weitergebracht.“ Da er als syrischer Staatsbürger auf den begehrten Aufenthaltstitel nicht allzu lange warten musste, konnte er beweisen, dass er schnell Fuß fassen wollte in der deutschen Gesellschaft: innerhalb kürzester Zeit absolvierte er einen Deutschkurs (erreichte dabei 95% der möglichen Prüfungspunkte) und engagierte sich umfassend, unter anderem in mehreren anderen Potsdamer GU als Praktikant. Danach gelang es ihm, einen Job in der GU in Groß Glienicke zu ergattern, wo er die Abläufe in einer Gemeinschaftsunterkunft kennenlernen konnte. Besonders das „Netzwerken“ wurde bald sein „Steckenpferd“ und ist es bis heute. Hunderte in der Flüchtlingsarbeit Engagierte kennen ihn.
Der Einstieg in die Sozialarbeit
Als im SAM e.V. in 2020 das Team der Mobilen Sozialarbeit aus der Taufe gehoben wurde, war er praktisch sofort dabei, anfangs nur mit einer halben Stelle (mit 20 Wochenstunden arbeitete er im Wohnungsverbund).
Auf die Frage hin, welche beruflichen und menschlichen Erfahrungen ihn bei seiner Arbeit, Geflüchtete in das Leben in Deutschland zu integrieren, am meisten zu Gute kämen, hatte er seine Antwort praktisch sofort parat: in Groß-Glienicke hat er vor einigen Jahren Geflüchtete in einer Gemeinschaftsunterkunft ganz intensiv betreut; er kann also selbst gut nachvollziehen, wie sich Menschen fühlen, die fernab von ihrer Heimat in engen und zumeist unfreundlichen Massenunterkünften wohnen und ihr künftiges Schicksal oft nicht einmal erahnen können. Und seine eigene Biographie zeigt, dass er genau weiß, wie schwer es ist, ohne eindeutige sichere Lebensperspektive inmitten einer fremden Kultur leben zu müssen, in der Geflüchteten eine nicht selten unverständliche Erwartungshaltung entgegengebracht wird. Geradezu frustrierend ist es, wenn es einem Menschen schwerfällt, sich anderen gegenüber verständlich zu machen, ohne die Sprache des Gastlandes zu beherrschen. Und wenn plötzliche, laute Geräusche das Gefühl der Fremdheit verstärken oder gar Erinnerungen an eigene, während der Flucht erlebte Ängste wecken.
Ihm selbst haben einige Erfahrungen, die er als Lehrer machen konnte, sehr geholfen, sich zu orientieren und seinen Platz als Sozialarbeiter zu finden: er entwickelte viel Verständnis für die vielen Menschen, die sich völlig unterschiedlich mit den neuen Bedingungen in Deutschland auseinandersetzten. Der hohe Wert, den er einer angemessenen Bildung immer beigemessen hat, half ihm bei zahlreichen Kursen und Lehrgängen, um sich für die neuen Anforderungen als Sozialarbeiter fit zu machen. Und sehr befriedigend ist es für ihn, seinen in Deutschland zurückgelegten Weg zu reflektieren.
Antrieb und eigene Motivation
Im Gespräch wirkt Konstantin ruhig und überlegt. Ärgerlich wird er, wenn die Unterhaltung darauf kommt, dass er es trotz seines großen Engagements in der Flüchtlingsarbeit, immer noch nicht geschafft hat, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben – sein großes Ziel, um in seiner neuen Heimat, die er bisher immer noch “nur” als sein Gastland empfindet, wirklich anzukommen. Mit Sorge betrachtet er auch eine zunehmende Radikalisierung mancher Geflüchteter in Deutschland. Das empfindet er als ungerecht und auch als unmoralisch. Das treibt ihn um, dagegen will er arbeiten und deshalb engagiert er sich ganz besonders in Beruf und Freizeit und führt unzählige Gespräche mit dem Ziel, dass Geflüchtete in ihrem Gastland gut ankommen, mit ihm trotz anderer Lebensbedingungen Frieden schließen und damit ihren eigenen inneren Frieden finden können.